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Schlag zu – Es interessiert niemand!

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Lesedauer: 7 Minuten

Es ist schon interessant, wie viele Leute sich in den vergangenen Wochen plötzlich für Demokratie interessierten. Kein Wunder, konnte man sich doch vorzüglich über Vorgänge in einem anderen Land echauffieren. Die Aufregung wird sich bis zur Bundestagswahl bestimmt wieder gelegt haben und dann wird die Wahlbeteiligung mangels öffentlichem Interesse wieder niedrig wie immer sein. Untrennbar mit unserer Demokratie verbunden, ist auch unser Rechtssystem und genau das hat mir vor ein paar Jahren ganz gewaltig zwischen die Beine getreten. Das hallt in mir drin inzwischen so lange nach, dass ich jetzt doch darüber schreibe. Die Konsequenzen aus dieser Geschichte werden mich immerhin mein ganzes restliches Leben begleiten.

Ich lasse ganz bewusst die genauen Zeitpunkte weg und nenne auch keinen realen Namen um niemandes Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Trotzdem haben sich die Vorgänge so abgespielt, wie ich sie hier beschreibe.

Die Faust – nicht verwechseln mit Goethes Faust

Vor einigen Jahren war ich an einem Samstagabend im Herbst, es war bereits dunkel mit meinen beiden Kindern, ich nenne sie für diesen Beitrag Hänsel und Gretel zu Fuß auf dem Heimweg. Hänsel war damals etwa 3 Jahre alt und Gretel ungefähr 5 und der Weg nach Hause war nicht weit, sodass ihn die Kinder locker bewältigen würden. Mit je einem Kind an der rechten und linken Hand ging ich am Straßenrand, weil es in dem Wohngebiet keinen Gehweg gibt. Auf halben Weg kam uns eine Person entgegen, von welcher sich ein rot leuchtendes Licht am Boden schnell auf Hänsel zubewegte.

Wie sich herausstellte, war dieses Licht ein Hund mit einem Leuchthalsband. Dieser Hund lief frei und war nicht an der Leine geführt. Ich blieb mit meinen beiden Kindern unverzüglich stehen. Hänsel bekam mächtig Angst, als er vom Hund beschnuppert wurde und begann zu zittern und festigte seinen Griff in meiner Hand. Ich wies den offensichtlichen Besitzer, welchen ich für diesen Beitrag mit Gerd Walther nenne, an den Hund zurückzurufen. Da der Herr Walther trotz erneuter Aufforderung nicht reagierte und nur stumm zusah, wie der Hund zwischen Hänsels Knöcheln schnupperte und Hänsel weiterhin vor Angst zitterte, entfernte ich den Hund, indem ich ihn mit dem Spann meines Fußes anhob und wegschubste. Hierauf reagierte Gerd Walther und fuhr mich an, was mir einfiele seinen Hund zu treten. Ich versuchte zu erklären, dass sich Hänsel vor Hunden fürchte und ich handeln musste, da er den Hund nicht zurückgepfiffen hätte, obwohl ich ihn mehrfach dazu aufgefordert hatte. Meine Begründung interessierte Herrn Walther jedoch nicht und er fuhr unbeirrt fort, mich anzuschnauzen, warum ich seinen Hund treten würde. Inzwischen war der Hund an Hänsel zurückgekehrt und begann an ihm hochzuspringen und intensiv an Hänsels Genitalbereich zu schnüffeln. Erneut forderte ich Herrn Walther mit den Worten „Nimm den Hund weg!“ auf, doch einzulenken. Die einzige Reaktion war, mich noch lauter anzuschreien, warum ich den Hund treten würde.

Panisch vor Angst begann Hänsel zusätzlich zu Zittern auch zu wimmern. Auch auf eine weitere Aufforderung kam keine Reaktion des Herrn Walther bzgl. des Hundes. Da ich nicht sicher sein konnte, dass mein Sohn unbeschadet bleiben würde, wenn er lautstark zu weinen beginnt, verpasste ich dem Hund einen Tritt mit dem SSpann, um ihn von Hansel fernzuhalten. In einiger Entfernung berührte der Hund den Boden und fiepte kurz. Der Hund schien endlich von Hänsel abzulassen.

Ich hielt immer noch Hänsel und Gretel an den Händen und wollte meinen Weg fortsetzen. Herr Walther hatte sich mittlerweile wohl warm gekeift und packte mich nun weiter lautstark schimpfend. Ich versuchte mich zu befreien und Herrn Walther von mir wegzustoßen. Dabei zerrte er mich mitsamt den Kindern an den Armen auf die gegenüberliegende Straßenseite. Hänsel und Gretel klammerten ängstlich an meinen Armen oder hatten hinter mir Schutz gesucht, während ich versuchte, mich aus dem Griff des Gerd Walther zu befreien. Bei dem ganzen Gerangel und über-die-Straße-zerren hatte ich zu tun, nicht auf Hänsel oder Gretel zu treten.

Als mich Herr Walther endlich mit der rechten Hand losließ, hoffte ich bereits, er wäre zur Besinnung gekommen und würde von uns ablassen. Da hatte ich mich schwer getäuscht, denn nun holte er mit seiner zur Faust geballten rechten Hand weit aus, um mir einen massiven Faustschlag ins Gesicht zu verpassen. Durch den Faustschlag machte ich eine 180°-Drehung sodass ich beide Kinder, welche immer noch um mich standen, umstieß und sie zu Boden vielen. Hänsel weinte nun, weil er sich die Lippe aufschlug. Während ich versuchte, meinen weinenden Sohn zu beruhigen, bemerkte ich meine stark blutende Nase. Binnen kurzer Zeit bildete sich eine Blutlache auf der dunklen Straße.

Gerd Walther ließ von mir ab und verließ den Ort des Geschehens wortlos, als er bemerkte, dass ich mit meinem Handy versuchte, den Polizeinotruf zu wählen. Die 110 funktioniert mit dem Handy nicht und an die 112 als Notrufnummer für die Mobilnetze dachte ich in diesem Moment nicht. Ich nahm dann wahr, dass eine Frauenstimme ganz in der Nähe fragte, wer das gewesen sei und was geschehen wäre. Dann knallte eine Haustür und es war still. Kein Hund mehr und auch kein Gerd Walther.

Während des verbleibenden Wegs nach Hause nahm ich das warme Blut war, welches aus meiner Nase rann. Meine Kinder waren verängstigt und begleiteten mich wortkarg. Zu Hause angekommen wählte ich sogleich den Polizeinotruf über das Festnetz. Aus der Nase blutend mit dem Kopf über dem Waschbecken erklärte ich der Stimme am anderen Ende, was vorgefallen war.

Das Blut eines Niemand

Die Polizei war zwar rasch bei mir, aber trotzdem vergehen einem hierbei die Minuten wie in Zeitlupe. Meine blutige Nase wurde fotografiert und ebenfalls eine Wunde an der Unterlippe, welche ich bis dahin noch gar nicht bemerkt hatte. Nachdem die Polizei wieder weg war, legte ich auf deren Anraten noch einen Besuch in der Notaufnahme ein. Dort wurde dann ein Nasenbeinbruch festgestellt. Am darauffolgenden Arbeitstag war ich dann noch beim Zahnarzt, weil nach solchen Schlägen wohl auch mal der ein oder andere Zahn in Mitleidenschaft gezogen wird. Der Zahnarzt sprühte ein wenig Desinfektionsmittel auf ein Wattestäbchen und tupfte auf meine Schneidezähne. Die Frage, ob das spüren könnte, bejahte ich, woraufhin er einen Eckzahn mit dem Wattestäbchen anstupste. Der darauffolgende Kälteschmerz signalisierte mir, dass das vermeintliche Desinfektionsmittel vorhin Eisspray war und ich kein Gefühl im Schneidezahn hatte.

Die gebrochene Nase verheilte mit der Zeit, doch das Gefühl in den Schneidezähnen kam nicht zurück. Der Faustschlag hatte den Nerv zerstört. Primäres Ziel für die Zähne war nun, sie so lange wie möglich zu erhalten. Doch ein Zahnersatz ist, so sagt mein Zahnarzt, unausweichlich. 2 Wochen war ich krankgeschrieben. Ich konnte wegen der gebrochenen Nase meine Brille nicht tragen. Die kleineren Wunden, wie die an der Unterlippe oder die eingerissene Nasenspitze, schmerzten während der Heilungsphase eigentlich am meisten. Da stößt man unweigerlich immer wieder an oder berührt sich irgendwie. Man glaubt gar nicht, wie stark man nicht nur die Lippen, sondern auch die Nase beim Sprechen bewegt.

Es sei in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt, dass ich selbstredend eine Anzeige wegen Körperverletzung machte. Noch am Abend des Vorfalls hatte Gerd Walther den Schlag zugegeben. Jeder, dem ich von diesem Abend berichtete, war fassungslos. Kaum jemand hätte sich in den kühnsten Träumen vorstellen können, wie die Staatsanwaltschaft hierzu reagierte. In einem lapidaren Schreiben wurde mir nach kurzer Zeit mitgeteilt, dass das Verfahren wegen Körperverletzung gegen Gerd Walther mangels öffentlichem Interesse eingestellt wird. Es handele sich um einen belanglosen Nachbarschaftsstreit, bei dem nichts Ernsthaftes passiert sei. ZACK, da hatte ich es nun schwarz auf weiß: Ich bin ein Niemand!

Die blinde Justitia

Um jetzt wieder zurück auf unsere Demokratie und unser Rechtssystem zu kommen. Ich bin wirklich unendlich dankbar, dass in Deutschland niemand auf Basis von reinen Anschuldigungen sofort ins Gefängnis gesteckt oder verurteilt wird. Eine solche Situation gab es in Deutschland bereits und wir sollten so etwas mit allen Kräften verhindern. Was mich jedoch bis ins Mark erschüttert hat, war, dass es scheinbar von öffentlichem Interesse sein muss, damit unsere Justiz ernsthaft tätig wird. Anders gesagt: Wäre ich nicht ein Niemand, sondern eine Person von öffentlichem Interesse, hätte die Staatsanwaltschaft diese Körperverletzung näher beleuchtet. Wer muss ich aber sein, um „von öffentlichem Interesse“ zu sein? Muss ich ein hochrangiger Politiker oder ein Fußballer der Bundesliga sein? Da sich die Öffentlichkeit nicht für den normalen Bürger zu interessieren scheint, stellte man hier jede weitere Betrachtung des Falles schnellstmöglich ein.

Es wäre gelogen, würde ich nicht zugeben, ich wünschte mir eine Verurteilung und eine saftige angemessene Strafe für diese in meinen Augen maßlos übertriebene Gewalttat. Dies ist jedoch mein persönlicher, subjektiver Wunsch. Was ich mir selbst als Unbeteiligter mit objektiverer Sicht wünschen würde, wäre eine genauere Betrachtung des Vorfalls durch die Staatsanwaltschaft. Sollte unser Recht nicht die Schwachen stützen und das Unrecht verfolgen? Sollte man nicht auch den Kindern zeigen, dass Verbrechen nicht ungesühnt bleibt? Angeblich ist Justitia blind, so heißt es immer wieder. Blind, um nicht vom Ansehen einer Person beeinflusst zu sein. In diesem Fall war Justitia wohl so blind, dass sie nicht einmal sehen konnte oder wollte, was vorgefallen war.

Schlag zu – Es interessiert niemand!

Gerd Walther bestreitet heute, dass meine defekten Scheidezähne überhaupt einen Zusammenhang mit diesem Vorfall hätten. Ich bin mir sicher, er würde heute jedwede Beteiligung leugnen, hätte er nicht alles an jenem Abend vor der Polizei zugegeben. Hänsel hatte mehrere Wochen Einschlafprobleme, weil er sich Vorwürfe machte, er trage die volle Verantwortung an den Geschehnissen. Es bedurfte viele Gespräche und Erklärungen, bis er sich keine Vorwürfe mehr zu machen schien. Gretel sprach sehr lange mit Unverständnis und Verunsicherung über das Erlebte. Ich selbst wage mich bis heute nicht zu Fuß in die Straße, in der all dies geschah.

Ich fürchte wieder auf Herrn Walther zu stoßen. Eine bleibende Erinnerung an diesen Abend werden meine defekten Schneidezähne sein. Ich habe lang sinniert, ob ich mich hätte anders verhalten sollen. Aber auch nach vielen Gesprächen mit meiner Familie, Freunden und Arbeitskollegen kamen alle zum gleichen Schluss, nämlich dass sie an meiner Stelle ausnahmslos so oder vergleichbar gehandelt hätten. Eine Lehre, die Hänsel und Gretel aus dieser Geschichte hoffentlich niemals ziehen mögen: Schlag ruhig fest zu, es interessiert kein Schwein, solange Du einem Niemand die Fresse polierst!

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