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Mein Kind hat kein Smartphone – Bin ich ein Rabenvater?

, zuletzt bearbeitet:

Lesedauer: 7 Minuten
Mein Kind hat kein Smartphone

Das neue Schuljahr hat längst begonnen und inzwischen war es Zeit für den obligatorischen Elternabend. Wer denkt, im Internet würden sich Nerds und Verrückte herumtreiben, der war noch nicht auf einem Elternabend! Man kann sich kaum vorstellen, wie viele Menschen sich hauptberuflich dem Dienst am Kind verschrieben haben. Das allein würde ich noch nicht als verwerflich betrachten, aber mir drängt sich der Eindruck auf, dass man sich hier so sehr unterwirft, dass ich besagte Personen gerne als Be-dienstete bezeichnen möchte.

Da werden in der 5. Klasse einer weiterführenden Schule offensichtlich weiterhin entgegen der eindeutigen Anweisung der Lehrkräfte Hausaufgaben korrigiert und verbessert, Schultaschen gepackt und Pausenbrote geschmiert; vom Elternteil(!) wohlgemerkt. Eigentlich bin ich so verwundert über die Unterwürfigkeit mancher – sehr oft, aber nicht ausschließlich – Mamas, dass ich darüber selbst schon fast etwas schreiben möchte. Worüber ich mich aber selbst als technikbegeisterter Papa immer wieder wundern muss, ist die hohe Smartphoneverorgungsquote. Viele Kinder haben wohl heute bereits in der Schultüte das erste Smartphone, spätestens jedoch zum Übertritt hagelt es diese Technikgeräte, mit denen sich die zugehörigen Dienstpersonen (=Eltern) oft nur unzureichend befasst haben. Die Klassleiterin meines Kindes schätzte, dass etwa 90 % ihrer Schüler/innen ein Smartphone besitzen würde. Mein Kind hat kein Smartphone! Bin ich nun ein schlechter Vater oder einer der wenigen verbliebenen Menschen mit Verstand?

Ja, ich weiß, erst vor 2 Wochen hatte ich mich dafür ausgesprochen, dass Kindern möglichst frühzeitig der Umgang mit dem Internet und sozialen Medien vermittelt wird. Zu dieser Aussage1interner Link: Ab wann sollen Kinder das Internet nutzen?, aufgerufen am 5.3.2023 stehe ich voll und ganz. Scheinbar reicht vielen Eltern hierfür aus, dem Kind ein Smartphone in die Hand zu drücken. Nach dem Motto: „Hier geh im Netz spielen.“ Oft sind das genau die Eltern, deren Kinder Smartphones besitzen, die meinen, man sollte die Kinder länger Kind sein lassen und die Vermittlung von Medienkompetenz würde in den höheren Klassen vollkommen ausreichen. So was muss ich erst einmal sacken lassen, um es letzt endlich als Dummheit bezeichnen zu müssen. Die Argumente für ein Smartphone könnten fadenscheiniger kaum sein.

Wenn das Kind den Bus verpasst

Ja, aber wenn doch mal der Bus nicht kommt oder das Kind nach der Schule den Bus verpasst, dann muss es doch anrufen können! Sehr schönes Argument, das hierfür gerne angeführt wird. Nur einmal zur Erinnerung: Meine Eltern sind noch zu Fuß zur Schule gelaufen, welche auch nicht immer im gleichen Ort war. Sie hatten kein Handy, um anzurufen, falls sie sich verspäten würden. Ich hatte zwar schon den Luxus einer regelmäßigen Busverbindung, aber wenn ich den Bus verpasst hätte, hätte ich auch laufen müssen. Auch heute noch fahren die Schulbusse mehr oder weniger direkt vor den Schulen ab und die Abfahrtszeiten sind auf den Unterrichtsschluss abgestimmt. Das Kind sollte also gut daran tun, nach dem Ende des Unterrichts, zur Bushaltestelle zu gehen. Dazu muss bereits ein/e Erstklässler/in in der Lage sein und ein Kind in der 5. Klasse erst recht. Klar mag es verleitend sein, noch ein wenig zu trödeln. Sollte der Bus dann weg sein, greift man zum Smartphone und das Personal soll einen abholen. Ist das der Weg, wie wir unsere Kinder zu mündigen Erwachsenen erziehen wollen? Zum Schulschluss ist das Sekretariat noch besetzt. Dort befindet sich auch heute noch ein Festnetzanschluss. Von dort aus lässt sich zu Hause Bescheid geben, dass man sich verspäten wird und dann kann man den nächsten Bus nehmen. Ich denke, wenn das das dritte Mal im Monat vorkommt, müsste es schon etwas peinlich werden. Ein Erziehungsratgeber, den ich gelesen habe, würde das als „die natürlichen Folgen eintreten lassen“ bezeichnen. Etwas einfacher ausgedrückt: „Agän wod lörnd!“

Wenn tagsüber etwas wäre

Ja, tagsüber kann in der Schule schon so einiges passieren. Doch nichts davon ist so wichtig, dass man deshalb sofort zu Hause anrufen müsste. Alles wird so frühzeitig mitgeteilt, dass mindestens noch der Nachmittag oder Abend ausreicht, um alles zu Hause abzuklären. Auch hier ist es wichtig, dass Kinder lernen, sich zu organisieren. Haben wir alle lernen müssen und es ist eine wichtige Vorbereitung auf das Berufsleben und das Leben in seiner Gesamtheit. Meine Erfahrung zeigt, dass unsere Kinder sehr wohl in der Lage sind, ihre täglichen Routinen zu organisieren. Wenn man sie nur lässt, dann haben sie ihren Alltag sehr gut im Griff, aber dazu muss man sie machen lassen; auch Fehler. Im schlimmsten Fall ist die Hausaufgabe nicht erledigt oder ein Abschnitt vom Elternbrief nicht dabei. Davon geht die Welt nicht unter und das Kind wird keinen bleibenden Schaden davon tragen. Möglicherweise lernt das Kind aber, das nächste Mal an die vergessene Aufgabe zu denken. Lernen dürfen bedeutet auch Fehler machen zu dürfen, denn aus Fehlern lernt man.

Mein Appell an die Helikoptereltern: Wenn im Jahreszeugnis der 5. oder sogar 7. Klasse steht, dass der Sprössling mehr Konsequenz bei den Hausaufgaben zeigen sollte, dann interessiert das später niemand. Regt Euch ein wenig darüber auf und macht dem Nachwuchs ein wenig schlechtes Gewissen, falls es nicht schon da ist.

Ohne Netz und doppelten Boden

Obige Gründe sind die am häufigsten genannten, warum die Kinder ein Smartphone haben. Und um die Kinder vor diesen Gefahren des Alltags zu bewahren, wird ihnen also ein Smartphone in die Hand gedrückt. Auf diesem Smartphone hat dann der Schützling meist Zugriff auf alle Funktionen. Man kann ungeniert neue Apps aus den jeweiligen Stores installieren und auch sonst alles an notwendigen Einstellungen vornehmen. Selbst wenn Käufe mit einer PIN gesichert sind, für Android lassen sich entsprechende Apps auch so installieren. Dazu muss nur die Installation von Programmen unbekannter Herkunft zugelassen werden. Außerdem ist das Kennwort im Google Playstore das Kennwort des Google-Accounts, welches dem Kind dann doch meistens bekannt ist. Ich darf vorsichtig in Erinnerung rufen, dass Google keine Accounts für unter 14-Jährige akzeptiert. Eine solche Situation setze ich vergleichbar, als wenn man einen Jugendlichen ohne Führerschein in einen Ferrari setzt und auf die Straße schickt. Da muss eigentlich früher oder später etwas passieren. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die Aussage einer Mama. Sie müsste wieder einmal mit dem Mobilfunkprovider telefonieren, weil die Tochter (wohlgemerkt: 2. Klasse) schon wieder irgendein Abo abgeschlossen hätte.

Für iOS kann ich mit keinerlei Erfahrung dienen, aber Android bringt von Haus aus eine Benutzerverwaltung mit. So lassen sich auch auf Smartphones Benutzerkonten mit eingeschränkten Rechten anlegen, sofern das der entsprechende Hersteller der Hardware nicht streicht. In diesem Zusammenhang verweise ich gerne auf meinen Beitrag Asus kastriert sein ZenPad7 – Mein Nachwuchs ist sauer2interner Link, aufgerufen am 5.3.2023 – Shame on you, Asus!

Smartphones müssen ausgeschalten sein

Dann kommt noch hinzu, dass Smartphones an allen mir bekannten Schulen ausgeschaltet sein müssen. Ausgeschaltet bedeutet, dass das Gerät heruntergefahren werden muss. Ein ausgeschaltetes Display bedeutet nicht, dass das Gerät aus ist. Das wird gerne mal verwechselt. Mit dem Betreten des Schulgeländes müssen die Schüler ihre Geräte also ausschalten. Das Smartphone verkommt damit zu Briefbeschwerer, denn ein unerlaubtes Einschalten wird üblicherweise geahndet. Je nach Schule wird das Smartphone erst einmal abgenommen und dann die Eltern benachrichtigt. Es kann auch zu einem Verweis kommen, wie ich schon gehört habe. Welchen Zweck sollte also ein ausgeschaltetes Smartphone in der Tasche eines Schulkindes haben, außer zusätzlichem Gewicht.

Wer bezahlt den Mobilfunkvertrag

Wir sollten nicht vergessen, dass Kinder und Jugendliche keinen Mobilfunkvertrag abschließen können. Dies kann nur durch die Eltern gemacht werden. Das bedeutet auch, dass die Eltern als Vertragsinhaber voll und ganz dafür haften, was mit dem Vertrag gemacht wird. Man rufe sich das angesprochene Abo von vorhin ins Gedächtnis! Selbst eine Prepaidkarte muss von einer volljährigen Person gekauft werden. Der Irrglaube, Prepaid sei kein Vertrag, hält sich leider sehr hartnäckig. Auch hier handelt es sich selbstverständlich um ein Vertragsverhältnis mit dem Mobilfunkprovider. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass die Leitung bei Prepaid bereits vor Erbringung bezahlt bzw. das Entgelt dafür hinterlegt werden muss. Das Gegenteil von Prepaid ist dann Postpaid und wird üblicherweise als „Vertrag“ bezeichnet. Letztlich stehen so oder so die Eltern für die Nutzung der SIM-Karte gerade. Das sollte man im Kopf haben, wenn man dem Kind uneingeschränkten Zugriff auf das Smartphone gewährt. Um sich Folgen vor Augen zu führen, kann man sich auch fragen, ob man dem Kind seine Kreditkarte incl. PIN überlassen würde.

Fazit

Mir ist bislang noch kein Grund untergekommen, warum mein Nachwuchs aktuell ein Smartphone nutzen müsste. Außerdem ist es so, dass in unserem Haushalt der Nachwuchs ein eigenes Tablet besitzt. Dass der Zugang nur mit eingeschränkten Zugriffsrechten vorliegt, sei – wegen der Vollständigkeit – noch mal erwähnt. Sollte in der Schule mit Computern gearbeitet werden, wie es bei einem Kind in der 4. Klasse üblich war, befürworte ich sogar einen eigenen Computer bzw. Laptop. Auch hier gibt es Möglichkeiten, die Gefahren für das Kind einzuschränken, was ich vielleicht in einem extra Beitrag einmal erklären könnte. Leider befassen sich zu wenig Eltern mit der Thematik und zögern selten damit, dem Kind ein so mächtiges Werkzeug wie ein Smartphone ohne Einschränkungen nutzen zu lassen. Da wird sich lieber über die laschen Waffengesetze in Amerika aufgeregt, ohne sich bewusst zu sein, dass man das eigene Kind russisches Roulette spielen lässt.

Auch in diesem Zusammenhang muss ich erneut die Schulen in die Pflicht rufen. Hier ist der Nachholbedarf an Medienkompetenz und deren Vermittlung eklatant hoch. Wie soll man aber Medienkompetenz vermitteln, wenn man sie selbst nicht besitzt? Lehrkräfte, die Computer und digitale Medien sinnvoll in den Unterricht integrieren, muss man immer noch lange suchen.

Und hier schließt sich der Kreis zu meinem letzten Beitrag. Kindern den richtigen Umgang mit Computern, Smartphones und Co nicht näher zu bringen, bewahrt sie nicht vor Gefahren, sondern lässt sie blindlings ins offene Messer laufen. Daher hat mein Nachwuchs ein eigenes Tablet und einen eigenen Laptop. Einen altersgemäßen Schutz vor Gefahren und die Förderung der Selbstständigkeit vorausgesetzt, wird auch ein Smartphone noch den Weg in die Hand meines Nachwuchses finden. Aktuell belassen wir das aber bei den vorhandenen Geräten.

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Einzelnachweise
  • 1
    interner Link: Ab wann sollen Kinder das Internet nutzen?, aufgerufen am 5.3.2023
  • 2
    interner Link, aufgerufen am 5.3.2023

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