In der vergangenen Woche bin ich zufällig über die Meldung gestolpert, dass Italien in den Schulen die Smartphonenutzung wieder zulassen möchte. Ein sehr radikaler Schritt, da erst vor wenigen Jahren an Italiens Schulen Smartphones gänzlich verboten wurden; auch für Lehrer. Immer wieder kommt die Frage auf, wann der richtige Zeitpunkt ist, dass man dem Nachwuchs ein entsprechendes Gerät zur Verfügung stellt oder ab wann Kinder digitale Medien nutzen sollten.
Es gibt Experten, die behaupten, dass ein Smartphone oder Computer für Kinder unter 13 Jahren schädlich sei und die natürliche Entwicklung behindere. Die Meinungen könnten somit nicht viel weiter auseinandergehen. Ich möchte den Zeitpunkt gar nicht an einem eigenen Gerät festmachen. Es geht mir vielmehr um ein verantwortungsvolles Heranführen an die Nutzung digitaler Medien. Medienkompetenz erlangt man nicht über Nacht, sondern das muss aufgebaut werden.
Die Kopie ist des Menschen Erfolg
Zunächst sollten wir uns als Eltern an die eigene Nase fassen. Wie gehen wir mit dem (längst nicht mehr) Neuland Internet um und reagieren wir immer und sofort auf ein piependes Smartphone? Der Erfolg der Gattung Homosapiens liegt mit unter daran, dass die Jungtiere die Verhaltensweisen der anderen Gruppenmitglieder kopieren. Genau das ist ein Schlüsselelement, warum der Mensch sich so erfolgreich auf der Erde verbreiten konnte. Lassen wir die schädlichen Einflüsse dieser „Tiergattung Mensch“ auf den Planeten Erde einfach einmal unbeachtet; der Mensch scheint ein Erfolg der Evolution zu sein. Der Mensch muss das Rad nicht mit jeder Generation neu erfinden. Das Rad ist da und wird genutzt.
Ein Schlüsselerlebnis hierzu war, als ich eine Dokumentation zum Thema Intelligenz gesehen hatte. In einem Versuch wurde einem Schimpansen und einem Kind ein umständlicher schwarzer Kasten gezeigt. Dieser Kasten hatte mehrere Hebel, Klappen und Aussparungen. Kind und Schimpanse wurden unterwiesen, wie dieser Kasten zu bedienen sei, um letztlich eine Lade mit Süßigkeiten bzw. Nüssen öffnen zu können. Es war ein komplexer Handlungsstrang, bei dem Hebel bedient, Stöcke in Aussparungen gesteckt und an genau definierten Stellen geklopft werden musste. Nach einiger Übung beherrschten sowohl das Kind als auch der Schimpanse die Abfolge und wurden mit den entsprechenden Leckereien belohnt. Dann wurde der schwarze Kasten gegen einen gleich konstruierten, jedoch vollkommen durchsichtigen Kasten ausgetauscht. Das Kind erkannte die Gemeinsamkeiten sofort und arbeite die zuvor eingeübte Handlungsweise ab. Der Schimpanse hingegen öffnete mit einem Griff die Lade, in welcher die Nüsse lagen. Das ganze Brimborium zuvor war nur Show.
Hier wurde sichtbar, was den Menschen unter anderem ausmacht: Führt eine Handlungsweise zum Erfolg, so behalte ich sie bei. Man denkt nicht mehr darüber nach und hat den Kopf frei für neue Herausforderungen. Das Kopieren ist dem Menschen durch die Evolution in die Wiege gelegt. Generationen vor uns wussten bereits, dass wir im Handeln unserer Kinder uns selbst erkennen. Wenn also die Eltern bei der kleinsten Vibration bereits zum Smartphone greifen, warum sollen das nicht auch unsere Kinder tun? Wenn wir in der digitalen Welt interagieren, warum sollen das nicht auch unsere Kinder tun? Das beantwortet aber noch nicht die Frage, ab wann Kinder oder Heranwachsende sich mit Internet, Computer oder Smartphone beschäftigen sollten.
Es funktioniert, warum ist egal
Zu Beginn der motorisierten Mobilität war ein wesentliches Element in der Ausbildung zum Führen von Automobilen, dass man die Technik verstanden hatte und sie auch reparieren konnte. Ein Ölwechsel oder der Austausch eines Keilriemens war wesentlicher Bestandteil der Fahrausbildung. Heute dagegen können die wenigsten Autofahrer noch überhaupt einen Reifen wechseln. Heute reicht es zu wissen, wie man den Motor startet und die Hebel und Schalter im Fahrzeug bedient. Eine rote Warnlampe bedeutet, dass das Fahrzeug umgehend in die Werkstatt gebracht werden soll. Das Auto funktioniert und ist da. Warum der Motor läuft, ist nicht mehr wichtig zu wissen. Mit dem Internet verhält es sich äquivalent, es ist da. Dies lässt sich nur von weltfremden Mitmenschen verneinen. Das Internet ist mitten in unserer Gesellschaft. Smartphone, Touchdisplay und andere technische Geräte sind da. Kinder nutzen die Möglichkeiten, die ihnen geboten werden. So sind für unsere Kinder viele der Geräte, die wir damals nur in Science-Fiction Filmen hatten, Realität. Viele Funktionen, die vor Jahren noch Utopie waren, sind inzwischen mitten in unserem Alltag. Auch wenn wir uns vielleicht noch mit einzelnen Funktionsweisen auseinandersetzen mussten, ist dies für die neuen Generationen nicht mehr überall notwendig. So wie viele Erwachsene nicht mehr wissen müssen, warum ein Verbrennungsmotor läuft, so müssen Kinder nicht mehr wissen, warum ein Touchscreen reagiert, wenn man drauf tippt. Er tut es einfach – Punkt. Aber auch das beantwortet aber noch nicht die Frage, ab wann Kinder oder Heranwachsende sich mit Internet, Computer dem Smartphone beschäftigen sollen.
Der richtige Zeitpunkt
Nach diesen Abschweifungen kommen wir zurück zur Kernfrage: Wann sollte sich ein Kind mit einem Computer oder Smartphone beschäftigen dürfen. Hier handelt es sich meiner Meinung nach nicht um einen Zeitpunkt, sondern um einen Zeitraum. Dieser Zeitraum, zu dem erste Heranführungen gemacht werden sollen, kann bestenfalls zu spät, kaum zu früh sein. Niemand würde auf die Idee kommen und das eigene Kind vor einem Auto zu bewahren. Hier müssten wir es im Dornröschenturm einschließen, denn Autos und Verkehr sind alltäglich um uns herum. Verkehrserziehung beginnt heute bereits im Kindergarten und niemand hält dies für falsch! Die Kleinkinder pauken keine Verkehrszeichen oder die Straßenverkehrsordnung.
Sie singen Lieder und lernen in Spielen die richtigen Verhaltensweisen im Straßenverkehr. Warum machen wir das mit dem Internet und dem richtigen Umgang mit digitalen Medien nicht auch? Im Kindergarten lernt man, dass man nicht bei Rot über die Straße geht und nicht zu Fremden ins Auto steigt. Ebenso sollte vermittelt werden, dass man öffentlich im Netz nicht seine intimsten Dinge preisgibt und dass nicht jeder im Netz die Wahrheit sagt. Warum muss man das erst einem pubertierenden Jugendlichen erklären, der sowieso nicht mehr auf Ratschläge von Erwachsenen hört? Nein, bereits im Kindergarten sollte hier ein Grundstock gelegt werden. Auch zu Hause sollten Kinder ruhig einmal mit einem Elternteil am Computer oder Smartphone herumtippen dürfen; den Fernseher dürfen sie doch vielerorts auch selbst einschalten.
Wir haben das bei uns so gehandhabt und so sagt mir mein evolutionäres Verständnis, wir lagen damit nicht daneben. „Mein Kind spielt noch im richtigen Matsch und läuft nicht durch virtuelle Welten! Ich bin so froh, dass das so ist.“ Solche oder ähnliche Aussagen lese ich viel im Netz. Diese Arroganz und Ignoranz macht mich wütend und traurig zugleich. Irgendwo habe ich einmal kommentiert: „Meine Kinder machen beides: Sie trampeln bis zu den Knien im Matsch und erleben Abenteuer in der virtuellen Welt! Ich bin so froh, dass das so ist!“
Kindern den Computer näher bringen
Je mehr die Eltern diese Geräte nutzen, desto früher wird ein Kind dieses Verhalten nachahmen. So ist das auch bei uns im Haus. Wir besitzen und benutzen Technik. Bereits sehr früh wurden aus Lego entsprechende Gerätschaften von den Kindern nachgebaut und „angewendet“. Ohne jemals Raumschiff Enterprise gesehen zu haben, hantierte der Nachwuchs beim Doktor spielen mit einem Legosteinkonstrukt am Puppenpatienten entlang. Ich musste unweigerlich an Dr. McCoy denken. Wie durch Zauberhand landeten die mit dem Gesundheitsscanner gewonnenen Röntgenbilder am Legolaptop. Eine weitere Legogrundplatte fungierte als Tablet und ich durfte die medizinischen Untersuchungsergebnisse bewundern. Niemand hat es den Kindern aufgetragen, dass so gehandelt wird. Es wurde lediglich das Verhalten der Erwachsenen nachgespielt, welches man im Krankenhaus nach dem Armbruch beobachtet hatte. Kinder kopieren und ahmen nach und verarbeiten Erlebtes. Gibt es besseres Multitasking oder eine gründlichere Nutzung von Synergieeffekten? Soll es falsch sein, dass der Mensch seines Erbgutes entsprechend und nach dem Ergebnis der Evolution handelt? Für den Anfang brauchen wir keine umschweifenden Erklärungen, wie Daten von einem mobilen Gerät drahtlos an andere Geräte übertragen werden. Es ist für die Nutzung auch unerheblich, so unwichtig, wie einen Keilriemen wechseln zu können.
Den Erziehungsauftrag nutzen
Soziale Medien und Informationen aus dem Netz sind heute so alltäglich, wie die Nutzung von motorisierten Fortbewegungsmitteln. Es mag sein, dass das Internet für viele Erwachsene immer noch Neuland ist. Die Gesellschaft hat dieses Neuland aber längst besiedelt. Kindern den richtigen Umgang nicht näher zu bringen bewahrt sie nicht vor Gefahren, sondern lässt sie blindlings ins offene Messer laufen. Ich proklamiere nicht eine rein digitale Schule, denn auch das spiegelt nicht unseren Alltag wieder. Selbstverständlich ist es wichtig, dass Kinder draußen und auch im viel besagten Matsch spielen. Die gleiche Wichtigkeit hat aber der alltägliche und normale Umgang mit dem, was in unserer Gesellschaft längst Normalität wurde. So wie die Handhabung von Papier, Stift und Schere vermittelt werden, so muss in der Schule auch der Umgang mit Tastatur, Maus und Touchscreen selbstverständlich sein. Erzieher, Lehrer und Eltern, die dies nicht tun, sind in meinen Augen an ihrem Erziehungsauftrag kläglich gescheitert.
Immer wieder diskutiere ich mit anderen Eltern über genau dieses Thema. Ein gerne genommenes Totschlagargument ist dann: „Warum müssen Kinder in der Grundschule schon einen Rechner bedienen? Die Kinder sollen doch Kinder sein.“ Sehr interessant, dass dieses Argument überdurchschnittlich oft von Eltern kommt, die ihren Kindern zur Einschulung ein Handy/Smartphone in die Schultüte stecken, damit es im Notfall zu Hause anrufen kann. Paradox, nicht wahr?
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